Neutralitäts-Gebot: Diskriminierung?

Darf ein Arbeitgeber aus Gründen der Neutralität das Tragen religiöser Symbole verbieten – auch ohne Kundenkontakt? Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschied: Ein pauschales Neutralitätsgebot ohne sachliche Rechtfertigung stellt eine Diskriminierung nach AGG dar.
In Kooperation mit Schmidt & Partner
11.12.2025 12:26 Uhr
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Neutralitätsgebot in Bezug auf Religion, Weltanschauung und Politik: Diskriminierung? Nachdem in den vergangenen Jahren gelegentlich wiederkehrend die nationalen und europäischen Gerichte zum Thema des „Kopftuchverbotes“ geurteilt haben, hatte sich nun das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in einem, an dieses Thema angelehnten Fall zu beschäftigten und letztlich darüber zu urteilen, Urteil vom 12.11.2024, Aktenzeichen 11 Sa 443/24.

 

Welcher Sachverhalt ging dem Urteil voraus?

Eine Bewerberin muslimischen Glaubens hatte sich auf eine Stelle beworben, die sich vor allem mit Recherche-Arbeiten befassen sollte. Nachdem die Bewerberin eine Stellenzusage erhalten hatte, wurde ihr ein Arbeitsvertrag zur Unterzeichnung vorgelegt. In diesem Dokument stand u.a. geschrieben, dass „das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugung am Arbeitsplatz untersagt sei, da der Arbeitgeber neutral auftrete“.

Zwar sei die Bewerberin während ihrer Tätigkeit lediglich mit Recherche-Arbeiten im Backoffice befasst, dennoch sei sie ansonsten ebenso im Team eingebunden. Das Neutralitätsgebot gelte daher auch für sie als kopftuchtragende Frau, um dadurch veranlasste Konflikte von vornherein auszuschließen.

 

Nach der ersten in die zweite Instanz

Die Bewerberin sah sich in ihrer Religionsausübungsfreiheit diskriminiert und forderte daher Entschädigungszahlungen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). In erster Instanz lehnte das Arbeitsgericht Berlin die dahingehende Klage ab. Die Klägerin legte Rechtsmittel ein, sodass das Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg weiter betrieben wurde.

 

Zwei Monatsgehälter als Entschädigung

Das LAG sprach der Klägerin zwei Monatsgehälter als Entschädigung zu. Die Klägerin sei aufgrund ihrer Religion benachteiligt worden. Der bereits durch die Arbeitgeberseite unterzeichnete Arbeitsvertrag, der die Klausel zur Neutralität enthielt, habe verdeutlicht, dass die Einstellung zur Beschäftigung der Bewerberin nur dann erfolgen würde, wenn sie diese Verpflichtung so akzeptiere. In diesem konkreten Fall sei das arbeitgeberseitig verlangte Gebot zur Neutralität auch nicht sachlich gerechtfertigt, da die bloße Recherchetätigkeit der zukünftigen Stelle unabhängig des Tragens eines Kopftuches hätte erfolgen können.

 

Fortführung der Rechtsprechungslinie des EuGH und des BAG

In der Vergangenheit war das Tragen eines Kopftuches schon häufiger Verfahrensgegenstand vor den europäischen und nationalen Gerichten, wenn es um das Abwägen der Arbeitgeberinteressen und der Glaubensfreiheit des Arbeitnehmers ging. Ständige Rechtsprechung ist hier seit Jahren, dass ein Arbeitgeber grundsätzlich ein Gebot zur Neutralität hinsichtlich Religion verlangen kann, wenn dies durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt ist und die Mittel angemessen und erforderlich sind.

 

Religionsneutralität in der Offizin durchsetzbar?

Eine sachliche Rechtfertigung zur Durchsetzung eines Neutralitätsgebotes im Hinblick auf die Religionsausübung könnte auch der Kundenkontakt sein, wenn die Tätigkeit der kopftuchtragenden Mitarbeiterin diesen gerade vorsieht, etwa, weil sie im Handverkauf oder im Botendienst tätig ist. Gegenüber jenen Mitarbeiterinnen, die lediglich im Backoffice tätig sind und damit keine repräsentativen Aufgaben nach außen wahrnehmen, dürfte die sachliche Rechtfertigung aus Arbeitgebersicht schwieriger sein.

In jedem Fall würde das arbeitgeberseitig verlangte Neutralitätsgebot im Apothekenbetrieb auch bedeuten, dass Symbole jeder Religion darunter zu fassen sind: auch das Tragen einer Kreuzkette, ebenso müssten folgerichtig Tätowierungen von buddhistischer Symbolen verdeckt werden.

 

Fazit: In der Abwägung der Arbeitgeberinteressen zur religiösen Neutralität und der arbeitnehmerseitigen Glaubensfreiheit entschied das Gericht, dass es einer sachlichen Rechtfertigung bedarf, wenn die Arbeitgeberinteressen überwiegen sollen. Dies war im zu entscheidenden Fall jedenfalls nicht gegeben.

 

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